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„Xperience Handwerk on tour“ macht Berufliche Orientierung im Handwerk mobil

Mit dem Pop-up-Store „Xperience Handwerk“ brachte die Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main Schnupperangebote zur Beruflichen Orientierung im Handwerk direkt vor Ort. Seit Oktober 2022 ist das Projekt als „Xperience Handwerk on tour“ noch mobiler geworden: Ein speziell umgebauter Transporter ist im ganzen Kammerbezirk unterwegs. Wo er Station macht, können junge Menschen, Eltern und Lehrkräfte an unterschiedlichen Probier- und Mitmach-Stationen die Vielfalt des Handwerks kennenlernen und hautnah erleben. Im Interview berichtet Deborah Bertolini von der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main über das innovative Format.

Was ist die Grundidee von „Xperience Handwerk“ und wen wollen Sie damit ansprechen?

Mit „Xperience Handwerk“ haben wir einen Akzent auf die Bandbreite und Vielfalt des Handwerks gesetzt, da viel zu wenig bekannt darüber ist. Im Handwerk sind über 130 Ausbildungsberufe daheim; dass Handwerk auch etwas mit Mode, mit Kunst und mit Gesundheit zu tun haben kann, entspricht nicht der Vorstellung Vieler. Ein Hinterfragen anzuregen und ein Bewusstsein für die Chancen durch eine Ausbildung im Handwerk zu schaffen, das war uns wichtig.

Die Idee, mit „Xperience Handwerk“ das Bild des Handwerks aufzubessern, entwickelte sich im Frühsommer 2021, als die Zahlen der Corona-Infektionen rückläufig und Präsenzformate mittlerweile wieder möglich waren. Nachdem pandemiebedingt im Jahr 2020 und in den ersten Monaten 2021 nur wenige Schülerinnen und Schüler eine berufliche Orientierung oder betriebliche Praktika absolvieren konnten – Maßnahmen, die für den Berufsorientierungsprozess von grundlegender Bedeutung und letztlich unverzichtbar sind –, haben wir mit dem Pop-up-Store versucht, diese Ausfälle zu relativieren.

Mit dem Pop-up-Store „Xperience Handwerk“, einem Kombinationsangebot aus Aktion und Information, wollten wir das Interesse wecken und junge Menschen dazu bringen, über eine Ausbildung im Handwerk nachzudenken und sie nicht per se auszuschließen. Fehlt der Bezug zum Handwerk, können sich junge Menschen keine genaue Vorstellung über handwerkliche Tätigkeiten oder den Berufsalltag machen. Wir wollten auch Lehrkräfte und Eltern ansprechen, die in der Berufsentscheidung der Jugendlichen als Multiplikatoren eine zentrale Rolle spielen können. Insbesondere hier muss das Potenzial der beruflichen Ausbildung ins Bewusstsein gerückt werden , die in Bezug auf die Vielfalt und Attraktivität von Tätigkeiten und Weiterbildungsmöglichkeiten gleichwertig mit einer akademischen Ausbildung ist.

Sie hatten zunächst ein „stationäres Event“ in der Shopping Mall „My Zeil“ in Frankfurt, das sehr erfolgreich war. Wie lief das ab, und was entwickelte sich daraus?

„Xperience Handwerk“ war zunächst für die hessischen Sommerferien geplant, also vom 19.07.2021 bis 28.08.2021. Für die Planung, Organisation und Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld hatten wir nicht sehr viel Zeit. Glücklicherweise fanden wir sehr bald eine zentrale Ladenfläche, sodass wir schnell in die konkrete Planung unseres Pop-up-Stores gehen konnten.

Super unterstützt wurden wir von unseren Meisterinnen und Meistern, Ausbilderinnen und Ausbildern sowie den Auszubildenden, wenn es bspw. um die Vorbereitung des Materials für die jeweiligen Mitmach-Stationen ging. Von Innungen und Verbänden konnten wir uns ganz unkompliziert weiteres Material wie Infowände oder Ausstellungsstücke ausleihen.

Der Pop-up-Store bestand aus insgesamt elf aktiven Stationen, die überwiegend so bespielt waren, dass sie den Ansprüchen der Generation Z gerecht wurden. Die Arbeiten bspw. waren nicht komplex und Erfolge wurden schnell sichtbar. Im Mittelpunkt standen eine ungezwungene Lern-Atmosphäre und eine spielerische Auseinandersetzung mit verschiedenen Gewerken und Tätigkeiten. Die Stationen boten an, sich aktiv und erlebnisorientiert an verschiedenen (digitalen) Gerätschaften und Werkstücken auszuprobieren. Es entstanden zielgruppengerechte Produkte, die mit nach Hause genommen werden durften. Das waren z.B. ein Handystuhl oder eine Wasserwaage, die im Anschluss individuell schabloniert oder kleine Leinwände, die unter Anwendung der Kreuzschlag-Technik lasiert wurden.

Die zentrale Lage des Stores war eine Anforderung, weil während der Sommerferien nicht mit Besuchen von Schulklassen gerechnet werden konnte. Vereinzelt waren zwar Gruppen diverser Bildungsträger anwesend, aber wir waren stark darauf angewiesen, dass Laufkundschaft „über uns stolperte“ und zufällig aufs Handwerk aufmerksam wurde. Dabei erinnere ich mich besonders gut an eine Familie, die zu Besuch in Frankfurt und auf Shoppingtour war. Der Laden weckte ihr Interesse, sodass sie reinschaute. Tatsächlich blieb sie knapp drei Stunden bei uns. Die beiden Kinder probierten sich an allen Stationen aus, und auch die Eltern nahmen ihr handwerkliches Geschick an der einen oder anderen Station mal genauer unter die Lupe. Parallel sprach man über Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, und ich glaube, das Interesse daran war echt.

Aufgrund des positiven Zuspruchs ging „Xperience Handwerk“ in die Verlängerung, sodass wir bis einschließlich 25.09.2021 vor Ort waren und somit die ersten vier Wochen des neuen hessischen Schuljahres mitgenommen werden konnten. In dieser Zeit waren wir mit Schulklassen und Gruppen mehrerer Bildungsträger voll ausgebucht. Da die Corona-Zahlen mittlerweile wieder angestiegen und die Teilnehmendenzahlen begrenzt waren, konnte ein Gruppenbesuch nur über die Buchung von Slots erfolgen. Die Nachfrage war höher als das Angebot, sodass nicht alle Anfragen berücksichtigt werden konnten.

„Xperience Handwerk“ wanderte schließlich in die Räumlichkeiten des Kommunalen Jobcenters in Dietzenbach, wo es dann als gemeinsames Projekt für insgesamt vier Wochen anzutreffen war. Auch dort wurde es so gut angenommen, dass wir im Juni dieses Jahres im Rahmen von „Xperience Handwerk on tour“ erneut vor Ort waren. Da das Fahrzeug zum damaligen Zeitpunkt noch im Umbau war, waren wir jedoch nur stationär anwesend.

Im Nachgang zu „Xperience Handwerk“ suchten Kolleginnen und Kollegen anderer Handwerksorganisationen den Austausch mit uns, um mehr über die organisatorischen Hintergründe zu erfahren. Es ist gut, dass diese hybriden Projekte in der Beratungslandschaft zunehmen und sich langfristig etablieren. Das hätte tatsächlich schon viel früher passieren können.

Die Tour ist im Oktober gestartet. Was lässt sich im Moment schon darüber berichten?

„Xperience Handwerk on tour“ setzt dieses Konzept nicht nur weiter um, sondern ist damit auch im ganzen Kammerbezirk unterwegs. Es ist im Grunde die mobile und außerschulische Verlängerung des Pop-up-Stores. Das Projekt wird gefördert durch das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen mit Mitteln aus dem „Neuen Hessenplan für Hessens Wirtschaft“. Gestartet ist es am 01.10.2021 für zunächst ein Jahr. Seit 01.10.2022 sind wir in der zweiten Förderlaufzeit, die ein weiteres Jahr umfasst.

Das Projekt versteht sich als außerschulische Maßnahme zur Berufsorientierung. Dies drückt sich darin aus, dass wir bspw. auf Berufsinformationsveranstaltungen außerhalb des schulischen Kontextes präsent sind oder Schulen tatsächlich erst nach Unterrichtsende anfahren.

Zu Beginn der ersten Förderlaufzeit hat die Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main einen gebrauchten Transporter gekauft, der schrittweise zu einem ansprechendem Info- und Erlebnismobil umgebaut worden ist. Um den Transformationsprozess und die Schaffenskraft des Handwerks zu dokumentieren, wurden die anstehenden Arbeiten an der Karosserie, der Elektrik, im Innenausbau sowie in der Raumausstattung von einer Produktionsfirma gefilmt. Wichtig dabei war, die Auszubildenden im Fokus zu haben, die die Arbeiten unter Anleitung ihrer Ausbilder weitestgehend verrichtet und dabei über ihre Ausbildung berichtet haben. Dem Peer-to-Peer-Ansatz folgend möchten wir damit erreichen, bei jungen Leuten das Interesse am Handwerk zu wecken. Zu diesem Zweck sind wir mit den Filmen auch auf zielgruppengerechten Social-Media-Kanälen wie bspw. Instagram zu finden.

Aufgrund von Lieferschwierigkeiten und kriegsbedingten Lieferstopps bei den benötigten Materialien hat der Um- und Ausbau des Fahrzeugs das gesamte erste Förderlaufjahr in Anspruch genommen. So liegen uns noch nicht viele Erfahrungswerte mit der mobilen Xperience-Variante vor. Ich berichte aber gerne von diesen bzw. davon, was weiter geplant ist.

Wie bereits erwähnt, sind wir im außerschulischen Kontext im gesamten Kammerbezirk unterwegs. Innerhalb des Wagens können Besucherinnen und Besucher digital schweißen oder sich über 360°-Videos über Ausbildungsberufe im Handwerk informieren. Zusätzlich hat man die Möglichkeit, sich die soeben angesprochenen Umbauarbeiten anzuschauen und mehr über die Genese des Wagens zu erfahren.

Außerhalb des Fahrzeugs bauen wir drei bis fünf kleine Stationen auf, an denen Werkstücke gebaut werden oder man in Berührung mit Roh- und Werkstoffen kommen kann; im Grunde analog zum Pop-up-Store.

Ende Oktober 2022 hatten wir den ersten Einsatz mit unserem Xperience-Mobil. Die Jungfernfahrt ging in den Odenwald, um genauer zu sein, zum Kommunalen Jobcenter in Erbach, wo Veranstaltungen für Schülerinnen und Schüler aus dem SGB II-Bezug stattgefunden hatten. Im Nachgang bzw. im Vorfeld dazu konnte man uns besuchen.

Tatsächlich kamen weit mehr Leute als wir zunächst angenommen hatten. Das war zum einen sehr gut, hatte aber leider zur Folge, dass wir nicht ausreichend Material zum Bauen eines kleinen Stücks dabei hatten.

Bereits zu Beginn besuchten mehrere Gruppen gleichzeitig „Xperience Handwerk on tour“. Da im Bus kaum mehr als fünf Leute Platz finden, hatte sich vor dem Bus eine Traube von Menschen angesammelt, die informiert werden und/oder etwas bauen wollten. Koordinatorisch sind wir stellenweise richtig ins Schwitzen gekommen.

Diesen Herausforderungen werden wir nun gerecht, denn wir haben mehr Stationen an Bord, deren Material sich nicht aufbrauchen lässt. Während man bspw. ein Fachwerk steckt oder einen Rundbogen baut und danach noch ein Foto von sich machen lässt, ist die Zeit gut und sinnvoll überbrückt, bis man im Fahrzeug schweißen kann.

Besser planbar jedoch ist es sicherlich, wenn wir im Vorfeld wissen, mit wie vielen Besucherinnen und Besuchern wir rechnen können. So umgehen wir einen Materialstopp. Ggf. kann man auch mit Timeslots arbeiten, um die Gruppengrößen zu steuern. Nicht jede Art von Veranstaltung kann das ermöglichen, aber die Erfahrungswerte werden mit jeder Veranstaltung weiterwachsen.

Wie schätzen Sie die Bedeutung von mobilen Berufsorientierungs- und Probier-Angeboten ein?

Praktika und Berufsorientierungen werden durch Projekte wie den Pop-up-Store oder das On-tour-Format keinesfalls ersetzt. Diese können jedoch als flankierendes Instrument gesehen werden.

Mit „Xperience Handwerk“ bzw. „Xperience Handwerk on tour“ werden im Handwerk angesiedelte Berufe in der Praxis erfahrbar gemacht. Das Gefühl für einen Werkstoff wird vermittelt und die Handhabung mit einem Werkzeug erlebbar. Dinge, die begriffen oder praktisch getan werden, können eine tiefere Verankerung im Gedächtnis finden, denn selbst Erfahrungen zu machen, ist für ein effektives Lernen förderlich. Die haptische Auseinandersetzung bzw. die Auseinandersetzung mit echten Erfahrungen ist für den Berufsfindungsprozess wegweisend.

Gerade in dieser digitalen Zeit, die sehr viele Vorteile, Erleichterungen und Innovationen mit sich bringt, ist es auch wichtig, Dinge zu be-greifen und sie auf vielfältige sinnliche Weise wahrzunehmen, bspw. wie sich ein Werkstoff anfühlt, wie schwer er ist oder wie er riechen kann. Sich realen Erfahrungen zuzuwenden und sie zu erleben, kann die Art bestimmen, wie sie im Gehirn abgespeichert werden.

Ich erinnere mich an einen Jungen, der bei „Xperience Handwerk“ versuchte, eine Schraube mit einem Schraubendreher in ein Stück Holz zu hämmern. Er kannte zwar das Werkzeug, hatte aber offensichtlich keine Vorstellung von der Handhabung und der Funktion eines Schraubendrehers. Im Tun lernte er beides kennen.

Indem wir mit „Xperience Handwerk on tour“ weiter eine Kombination aus Aktion und Information anbieten, erreichen wir, dass bspw. der Umgang mit den Werkzeugen sowie die Auseinandersetzung mit dem Werkstoff aktiv gemacht werden, was dem Lernprozess zuträglich ist; denn, wie gerade schon angedeutet, man kann über Dinge besser und intensiver nachdenken, wenn sie erlebt wurden; und das gibt bestenfalls einen Impuls, der sich auf die spätere Berufswahl auswirkt.

Wer uns besuchen kommen oder „Xperience Handwerk on tour“ für eine Veranstaltung oder explizit für eine Gruppe buchen möchte, ist herzlich eingeladen, auf unsere Landingpage zu gehen: www.xp-handwerk-ontour.de. Neben weiteren Informationen zum Projekt, kann man dort verfolgen, an welchen Orten wir Halt machen oder über das Kontaktformular das Interesse am Projekt bekunden.

Frau Bertolini, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Stand: 30.11.2022

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